Auf Drängen meiner Kinder hin besuchte ich mit ihnen einen Escape Room. Mein Fazit: Zum Glück fordern uns Kinder immer mal wieder heraus, unsere Ängste zu überwinden.
Es war dunkel im Schrank. Die stummen Gesichter der Kinder waren das Einzige, was ich im schwachen Licht der Taschenlampe erkennen konnte. Der modrige Geruch war kaum auszuhalten, und inmitten bedrohlicher Stille war eine gefühlte Ewigkeit lang nur schweres Atmen zu hören. Bis jemand rief: «Macht schnell! Gleich kommt die grosse Katze und frisst uns alle auf!»
Eingesperrt in der düsteren Schlafkammer eines Riesen hatten wir keine Zeit zu verlieren. Seit beinahe einer Stunde kletterten wir auf der Suche nach dem Ausweg auf riesige Stühle, bestiegen überdimensionale Tische und krochen durch mächtige Schränke in unheimliche Schächte, in denen riesige Spinnen lauerten. Bis uns nur noch wenige Minuten blieben, um den letzten Code auf dem Weg in die Freiheit zu knacken. Schafften wir es nicht, würde die Katze des Riesen uns allesamt verspeisen …
Nein, das war kein bizarrer Traum. Das war unser erstes Mal als Familie in einem Escape Room. Ich wusste natürlich von der Existenz dieser Räume, nur erschien es mir als ein absurder Luxus, mich freiwillig einsperren zu lassen und dafür auch noch Geld zu bezahlen. Bis ich den Kindern zuliebe doch einwilligte, hinzugehen. Und was soll ich sagen: Auf eine seltsame Art mochte ich den Adrenalinkick und das Spiel mit der Angst, zu Katzenfutter zu verkommen.
Lust an der Angst
«Angstlust» nennen Psychologen das Gemisch aus Angst und Lust. Ein scheinbarer Widerspruch: Wir begeben uns freiwillig in eine bedrohliche oder unheimliche Situation, weil die Erleichterung darüber, dass wir in Sicherheit sind, sich so gut anfühlt. Angstlust ist der Grund, warum viele von uns sich beim Lesen oder Filmeschauen gerne gruseln, auf Escape Rooms stehen oder sich gar freiwillig an einem Bungee-Seil in die Tiefe fallen lassen.
Dahinter verbirgt sich laut Professor Peter Walschburger von der Freien Universität Berlin ein uraltes menschliches Handlungsmuster. Gerade in Situationen, in denen wir uns sicher fühlten, könnten wir auf spielerische Art Erfahrungen sammeln. Dabei schalte unser Grosshirn in einer vermeintlich gefährlichen Situation erst mal auf Kampf oder Flucht, um kurze Zeit später durch neuere Anteile des Hirns ausgeglichen zu werden, die uns wohlige Sicherheit vermitteln. «Dieses Spielen im entspannten Feld hat den Vorteil, dass wir wesentlich angepasster an Gefahren sind», erklärt der Biopsychologe.
Dass Angstlust nichts für ganz kleine Kinder ist, versteht sich irgendwie von selbst. Doch für Kinder ab einem gewissen Alter habe es laut Walschburger Anpassungsvorteile, wenn sie sich im sicheren Rahmen ein wenig gruseln dürften: «Angst lässt sich nur durch eine konstruktive Haltung überwinden, indem man einmal durch sie durchgeht». Und das klappe am besten in Modellsituationen, in denen man die Gewissheit hat, in Sicherheit zu sein.
Raus aus der Komfortzone
Angstlust ist der Grund, warum viele Kinder gerne gruselige Geschichten vorgelesen bekommen. Warum sie später gern Verstecken spielen, Halloween mögen und Achterbahn fahren wollen. Und auch, warum Teenager, laut Walschburger in der «Hochphase» der Angstlust angelangt, oft auf merkwürdige Gedanken kommen, um ihre Grenzen auszutesten.
Dass die Angstlust im Erwachsenenalter tendenziell nachlässt, leuchtet ein. Ich jedenfalls konnte mir, vor allem seit ich Mutter bin, nicht einmal mehr einen schaurigen Netflix-Trailer anschauen, geschweige denn Achterbahn fahren. Und das, obwohl ich im Teenageralter zur eher furchtlosen Sorte gehörte. Doch je älter meine Kinder werden, desto mehr locken sie mich aus meiner Komfortzone heraus. Und sei es nur, doch mal mit auf die Riesenrutsche im Schwimmbad zu gehen – trotz aller Vorsätze, da nie wieder hochzuklettern. Oder eben in den Escape-Room. Aber Thrill hin oder her, Fakt ist doch: Kinder werden fast täglich damit konfrontiert, ihre Ängste zu überwinden. Und können uns dabei gute Vorbilder sein, indem sie uns herausfordern, öfter mal über unseren Schatten zu springen. Ich finde das unheimlich belebend.
Dieser Beitrag erschien zuerst im Mamablog des Tagesanzeigers.